Von Aufregung, Hilfe und Hilfe als Event: Train of German Hope?

Was in den vergangenen Tagen in München, Hamburg, Dortmund, Frankfurt oder andernorts los war und nach wie vor los ist, ist zunächst einmal ganz schön krass.

Samstagabend habe ich die Geschehnisse in Dortmund über Twitter eine ganze Weile mitverfolgt und war beeindruckt, wie schnell sich Spenden und Helfer_innen ansammelten, wie schnell sich organisiert wurde, etwa durch den Account @trainofhope_do oder diese Facebookgruppe.

Relativ sicher war ich mir allerdings auch, dass es nicht lange dauern würde, bis sich jemand über all diese selbstorganisierte Hilfe, über applaudierende Menschen an Bahnhöfen und das allgemeine „Gutgemenschel“ aufregt. So geschehen hier. Dieser Text kritisiert die Eventisierung der Hilfe, die Romantisierung der Flucht und der Geflüchteten und auch, dass sich die vermeintlichen Helfer_innen auf diesem Weg endlich mal wieder beweisen wollen, welch ausgeprägte soziale Ader sie doch besitzen.

Ich kann zunächst einmal dem zustimmen, dass die Menschen, die Deutschland dieser Tage erreichen, weder instrumentalisiert noch romantisiert werden sollten, genauso wenig wie ihre Flucht. Natürlich sollte es zu aller-allererst um ihre Bedürfnisse und ihren Schutz gehen. Es ist ein durchaus streitbarer Punkt, dass zum Beispiel Fotos der Ankommenden veröffentlich wurden/werden, auf denen ihre Gesichter klar zu erkennen sind.

Sich jetzt allerdings daran aufzuhängen, dass Helfer_innen sich über ein Lächeln als Dank freuen – come on. Ich kenne einige Menschen persönlich und noch mehr übers Internet, die sich in den letzten Tagen (und auch Wochen, und ja, auch Monaten und Jahren) in irgendeiner Form engagiert haben, ob in München, in Dortmund oder in Hamburg, und da ist das Wort „Eventisierung“ schlichtweg unangebracht. Ich glaube kaum, dass all die Helfer_innen am Wochenende zunächst gelangweilt herumsaßen und Däumchen drehten, bis sich dann endlich die Gelegenheit für ein solches Event bot. Ebenso wenig, dass sie sich allesamt dachten: Wow, wenn das mal nicht die Chance ist, meine beim Falschparken verlorenen Karmapunkte zurückzuholen!

Die Helfer_innen haben sich extrem schnell mobilisiert, sie haben Nächte durchgemacht, sich durch unendliche Berge von Sachspenden gewühlt oder wie Mareice einfach mal binnen einer Woche eine Stadtteil-Hilfsorganisation aufgezogen. Und ja, sie freuen sich darüber, dass alles so gut klappt. Dass die Hilfsbereitschaft so groß ist. Und auch darüber, dass die Menschen, denen sie Wasserflaschen oder Decken reichen, womöglich lächeln, ob nun als Dank, aus Erleichterung oder einfach nur so.

Das bedeutet allerdings weder, dass sie verlangen „[zu lächeln], als hätte niemand dein Haus in die Luft gejagt und deine Mutter getötet“, noch, dass sie so tun, „als gäbe es keinen ISIS, keinen Assad, […] kein Frontex, kein Massengrab im Mittelmeer, […] keine besorgten Bürger, kein Kaltland“, während sie „Wohlstandsmüll“ in Form von durchaus benötigten Dingen wie Hygieneartikeln, Babynahrung oder Wasser verteilen. Diese Vorwürfe halte ich, mit Verlaub, für eine Frechheit all jenen gegenüber, die zwölf Stunden lang Kleidung sortiert, Suppe ausgeschenkt oder die Hilfe koordiniert haben (bzw. all das nach wie vor tun).

Als würde es bei all dem nur darum gehen, sich als „die guten Deutschen“ zu inszenieren, als würde es darum gehen, zu verleugnen, was seitens Staat und nationaler wie internationaler Politik alles mächtig schief läuft –  gerade die Tatsache, dass die Zivilgesellschaft sich organisiert und hilft verdeutlicht letzteres doch nochmal.

Und gegen Frontex, gegen den IS, gegen Waffenlieferungen, gegen kapitalistisches Kalkül und gegen so vieles mehr ist man (als einzelne Person) in erster Linie vor allen Dingen eines: ziemlich machtlos. Wenn man aber dennoch das Bedürfnis hat, etwas zu tun – und für dieses Bedürfnis gibt es ausreichend andere Gründe als Bock auf ein Event oder darauf, auf der nächsten Party mit hohem sozialen Engagement prahlen zu wollen – well, ja, dann bietet sich dieser Tage die direkte Hilfe in diversen Städten einfach sehr gut an.

Ich möchte nicht gänzlich anzweifeln, dass unter den Helfer_innen auch solche Menschen sind, die mehr im Weg stehen als tatsächlich zu unterstützen, die „nur mal gucken“ wollen, die womöglich auch das berüchtigte Event suchen, um später dann dabei gewesen zu sein. Anzunehmen, dass solche Leute bei Hilfsaktionen dieser Größenordnung nicht vorhanden sind, wäre auch naiv. Und dass plötzlich Leute helfen, die sich noch nicht jahrelang antifaschistisch engagieren – das sollte natürlich nicht jahrelange antifaschistische Arbeit anderer Personen in den Schatten stellen, genauso wenig sollte es aber verurteilt werden, denn meine Güte: besser jetzt damit anfangen als nie, lieber noch eine Person mehr als eine weniger. Und die Gefahr, dass all dies nur „ein Trend“ ist, auf den jetzt zu Hauf aufgesprungen wird – puh, ganz ehrlich, da halte ich es wie mit der ewigen Aufregung um den Veganismus: wenn schon Trend, dann wenigstens ein guter. Ich finde es nicht verwerflich, sich über diese überwältigende Hilfsbereitschaft zu freuen. Meinetwegen sogar als etwas, das Deutschland anscheinend auch kann (hierbei steht mehr das „auch können“ – helfen und solidarisch sein zum Beispiel – im Fokus als das „Deutschland“). Diese Freude leugnet ja weder rassistische Anschläge und Hetze noch die Politik, sondern stellt sich all dem gegenüber und sorgt im Idealfall dafür, dass mehr und mehr Personen die Bedeutung des Worts „Menschlichkeit“ neu erlernen.

Es bleibt zu hoffen, dass es so weitergeht. Dass Menschen nicht nur akut, sondern auch noch in zwei Wochen, zwei Monaten und im nächsten Jahr helfen. Dass das Bewusstsein bleibt und verinnerlicht wird, vielleicht auch von denjenigen, die bisher „besorgt“ oder anderes sind. Wir können alle etwas dafür tun. Vielleicht sogar nur, um „dabei gewesen zu sein“. Ich halte das in diesem Zusammenhang für erstrebenswerter, als so getan zu haben, als würde eine_n das alles nichts angehen.

Und ja, es lässt sich sogar darüber diskutieren, ob nun applaudierende Massen denjenigen, die Krieg, Unfassbares und eine Odyssee hinter und bürokratische Scheiße vor sich haben, tatsächlich ein smoothes Ankommen garantiert oder ob es sie womöglich überfordert und irritiert.

Aber fuck it: mir sind tausend klatschende Menschen, die Stofftiere an Kinder verteilen und „Refugees Welcome“-Transpis hochhalten immer noch tausendmal lieber als ein einziger, der eine Unterkunft anzündet. Und ich wage einfach mal zu behaupten, dass es auch den hier ankommenden Menschen ungefähr so geht.