Ein Reisebericht.

(Im Februar und März war ich in Israel unterwegs. Darüber habe ich einen Text geschrieben. Und der hat immerhin den 3. Platz gemacht beim Onlineliteraturwettbewerb compete2014, hurra!)

Ein Reisebericht

Und dann, nach dem Weckerklingeln und dumpfer Schläfrigkeit, nach ein paar Schlücken bitterem Kaffee und ein, zwei Avocadobissen, da steht uns schon der erste kleine Schweiß auf den Stirnen.

Wie abgesprochen beginnt alles in der Stadt zu rotieren. Die großen Busse, die kleinen Busse, die Taxis und Fahrräder, ein Rhythmus von Reifen und Motoren. Am Markt werden die Stände aufgemacht, arabische Musik dröhnt aus kratzigen Boxen beim Gemüsehändler, dickliche Verkäufer rotzen auf die nasse Straße, es riecht süß nach frischem Obst, nach Fisch, nach Tabak und nach Urin. 

Wir laufen hoch zur Allenby Street, nasse Flecken auf unseren Rucksackrücken, dann über die Kreuzung zur St George. Hektische Schritte, wir sind etwas zu spät dran, wir müssen noch ans andere Ende der Stadt zum Busbahnhof. Der Busbahnhof hier ist ein Labyrinth.

Gestern Abend habe ich angefangen, einen Roman von Assaf Gavron zu lesen. Es geht um die Zeit der zweiten Intifada, um Anschläge in Tel Aviv und in Jerusalem. Fiktion und Vergangenheit, klar, aber voller Tatsachen und Realitäten, die jetzt etwas zu aufdringlich nachwirken.

Wir bleiben an einer Kreuzung stehen. Da, einer der kleinen Busse, so einer zum Beispiel sei einfach explodiert, da habe jemand dringesessen mit einer Finsternis in den Augen, zehn, zwanzig Minuten vielleicht, Menschen seien aus- und eingestiegen, Berufsverkehr, und irgendwann hätte es einen Knall gegeben.

Da muss man doch jetzt dran denken. Da müssen die Menschen, die hier leben, doch ständig dran denken, da lebt man doch trotzdem in einer dauerhaften Vorsicht, wenn so etwas einmal passiert ist. Das ist nicht wie Zuhause. Nicht wie in Deutschland, nicht wie Bilder im Fernsehen, Auslandskorrespondenten und Twitter, man schaltet das nicht einfach aus.

Krass, noch ein paar Kilometer den Strand runter, da ist Gaza, haben wir am ersten Tag gesagt. Aber dann waren wir abgelenkt, von der warmen Luft am Abend, von den Lichterketten auf der Terrasse, von der Balkan Shakshuka in einer glühenden Pfanne, von der Aufgeschlossenheit der schönen Menschen, die mit uns reden. Where are you from, und ich kann es irgendwie nicht leugnen, das Zögern in meinen Antworten, dabei haben wir uns doch nichts vorzuwerfen.

Es kommt alles zusammen in diesem winzigen Land.

Das sind Orte, die man seit dem Kindergarten kennt und sich so anders vorstellt, wie in der Krippe zu Weihnachten. Bethlehem, Nazareth, Jericho. Das sind Namen, die während der Kindheitsabendessen in den Nachrichten genannt worden sind, ohne dass man sich einem Zusammenhang bewusst war. Scharon, Arafat. Das ist dieser Irrsinn oder Glaube, Horden von Jesus-Touristen, die sich in Jerusalem drängen und bekreuzigen. Das ist ein Meer, das an Bronchitisbehandlungen denken lässt. Das sind die Bushaltestellen in einer kargen Landschaft, an denen junge Soldatinnen warten und pinke Kopfhörer tragen. Das ist die Suche nach Original-Banksys auf hohem Beton, der ein Land durchteilt, das ist ein ewiges Busfahren und eine ständige Passkontrolle. Kirchenglocken und Muezzin. Schutt in staubigen Straßen, alles in Wüstenfarben. Hummus. Falafel. Terror. Holocaust.

Und man bemerkt so wenig mit den Füßen in den Wellen, Matkot-Spieler und Wolkenkratzerhotels im Hintergrund.

Man muss diese naive Paranoia beiseite schieben. Die Klimaanlage im Bus ist zu kalt eingestellt, das W-LAN funktioniert aber gut. Auf der anderen Seite der Scheibe ziehen die Schilder auf Hebräisch vorbei. Mir gegenüber döst ein Soldat, Hand an der Waffe. Ich setze Kopfhörer auf und ich starre auf eine Seite in Gavrons Roman. Das Lesezeichen ist die Eintrittskarte des Museum of Art Tel Aviv.

Komisch, wie leicht man auf diesen Busfahrten nostalgisch wird. Das Neue ist zu intensiv, als dass ein Kopf es gleich verarbeiten könnte. Ich lese und höre und denke und schmecke einen Kaffeerest.

(Später, wenn ich zu Hause sein werde, übermüdet, Sand unten im Rucksack, wenn da wieder ein Alltag an mir abprallen wird – da werde ich mich wundern über die Sauberkeit, und im Fernsehen werden sie sagen: Schüsse aus Gaza, und ich werde näher dran sein und im Großen und Ganzen fasziniert. Ich werde meinen Eltern Fotos vom Nebel in der Wüste zeigen. Ich werde im Rewe einkaufen und Freunde auf zwei, drei Bier treffen und tanzen gehen und ICE fahren und für eine mündliche Prüfung lernen und einen Zahnarzttermin machen und mit meinen Mitbewohnern Tatort streamen. Wie das immer so ist und sich so unbesonders anfühlt.)

Das weiß ich gerade noch nicht.