Anstelle eines Sommerlochs oder: Für Hier.

Die letzte Woche habe ich als „Artist in Residence“ in Dortmund verbracht. Eingeladen haben mich Sascha und Michelle, die beiden lieben Menschen von FÜR HIER. Das ist eine Art partizipatives Festival, eine Mischung aus Ausstellungen, Workshops und Vorträgen, in denen sich auf verschiedenste künstlerische Art mit der Stadt Dortmund oder eben auch mit dem sagenumwobenen Begriff „Heimat“ auseinandergesetzt wird.

Diesmal ging es um Literatur und Illustration und ich war zum Schreiben da. Das hat mich mächtig gefreut – und vor lauter Freude habe ich mir am dritten Tag gleich mal eine nette Sommergrippe eingefangen. Auch eine Erfahrung.

Gestern Abend fanden dann Lesung und Vernissage im Heimatdesign statt. Es gab ordentlich Texte auf die Ohren (aus dem Schreibworkshop mit Rainer Holl und auch von ihm höchstselbst), drumherum zierten Illustrationen die Wände und überhaupt sah alles sehr schön aus. Ich war etwas high ob der Medikation, die aber immerhin dafür sorgte, dass auch ich ein paar Texte vorlesen konnte, unter anderem diesen hier (Ausschnitt, in voller Länge vermutlich bald auf der Homepage von FÜR HIER.):

 

»ICH HÄNG NICHT AN STÄDTEN, posaune ich immer herum, ich mache nichts fest an Orten – aber das zu behaupten ist doch eigentlich Quatsch.

Es ist ein anderes Gefühl hier entlang zu laufen, diese große Straße, in der Mitte das Grün, die Ampeln springen hier schneller um, es fühlt sich anders an, in die Schützenstraße einzubiegen als irgendwo in Stuttgart zu sein. Und ich muss beide Städte so oft verteidigen, einfach nur, weil ich da bin, zu Besuch oder weil ich dort wohne:

Bitte, Stuttgart? Ist das nicht furchtbar? Diese Hügel und keinen Alkohol nach 22 Uhr und diese Spießigkeit und vor allen Dingen diese Schwaben?

Bitte, Dortmund? Ist das nicht unsagbar hässlich und nur voller Nazis?

Später laufe ich und habe Wege kürzer in Erinnerung, als sie es eigentlich sind. Ich laufe durch den Park, bis meine Schuhe drücken und ich barfuß weitergehe. Mir entgegen kommt das, was man gut und gern Klischee nennen könnte. Klapprige, dürre Gestalt, Schnurrbart, Plastiktüte, Bierdose, daneben eine ähnliche Ausgabe von Mensch, ein bisschen kleiner, ein bisschen kräftiger, mehr Brust; Bierdose, Zigarette. Aber auch sie könnten überall sein, theoretisch, in Stuttgart, in Köln, in Berlin, oder eben hier, Fredenbaumpark, in der Nähe des Kanals, dessen Nähe ich eindeutig überschätzt habe, also die Entfernung unterschätzt, um genau zu sein – die beiden lächeln, die beiden krakeelen, die beiden nicken nicht mir zu, sie nicken sich selbst zu, ihren Bierdosen, dem Tag, sie lächeln und brechen damit ihr eigenes Klischee.

Ich habe Wasser dabei und Tabak und damit verliere ich sehr eindeutig gegen die Ausrüstung der anderen, gegen Decken und Handtücher, gegen Wassermelonen und Bier, gegen Einweggrills und Bücher. Von der anderen Seite zieht Grillkohleduft herüber, ein Lärmen, eine Musik vielleicht, bleiern aus Handys, und Körper verschwinden nacheinander im Wasser.

Später fahre ich mit dem Fahrrad, jetzt doch; ich bin immer unsicher mit fremden Fahrrädern, wegen der Sattelhöhe, der Pedale, wegen der Gangschaltung, ich freue mich da immer über Gewohnheit. Der Rahmen des Fahrrads, das ich jetzt fahre, ist ungefähr so hoch wie meine Beine lang. Aber es funktioniert. Ich fahre. Und ich bremse, und ich halte an, fahre weiter, biege ab, warte an der Ampel, ich fahre eine lange Straße entlang, in der seltsam viele Haustüren offen stehen und einen Blick hinein anbieten, gekachelte und türkis gestrichene Treppenhäuser geben sie frei.

Und auch drei Stunden später ist die Luft noch sehr warm, restsommertagswarm, und ich bugsiere irgendwann das Fahrrad mit dem hohen Rahmen durch eine Haustür, die ich aufgeschlossen habe.«