Alle Aufregung ist groß, aber welche ist am größten?

Die Short Facts: Ronja von Rönne liest beim Bachmannpreis – ebenjene junge Dame, die als Welt-Redakteurin für Furore sorgt. Menschen regen sich über die Nominierung auf. Und Menschen wiederum regen sich über dieses Aufregen auf.

Eine neue heiße Phase im Netz, die auch Rönnes Anti-Feminismustext sowie meine Replik darauf betrifft – fast zwei Monate, nachdem ich ebenjene veröffentlicht habe. Auf einmal bekomme ich darauf basierend Anfeindungen via Mail und Twitter. Keine allzu große Sache – Trolle, die dann eben geblockt werden. Die sich darüber aufregen, dass ich „die junge Autorin so gemein angehe“ und die mir (und anderen Feminist_innen und Aktivist_innen) Kritikunfähigkeit unterstellen, weil wir kritisch auf antifeministische Texte reagieren oder schlicht Texte feministischen Inhalts publizieren. Ich fange nun keine Grundsatzdebatte darüber an, wer oder was kritikunfähig ist. Die Definition von Kritik, insbesondere konstruktiver, sollte man sich vielleicht nochmal in den Sinn rufen, bevor man Dinge schreibt wie „Frauen wollen gleiches Geld – aber welche Frau bringt denn annähernd gleiche Leistungen wie ein Mann?“ (Quelle: ein Twitternutzer). Wo statt Kritik nur stumpfsinniges Gefasel ist, kann ich auch keine Kritik annehmen. Sorry but not sorry.

Kritisiert wird unter anderem auch, dass Rönne nun in die rechte Ecke gestellt wird, weil es diverse rechte Likes und Empfehlungen gab. Ich finde es unangebracht, ihr deswegen rechtes Gedankengut zu unterstellen, ebenso finde ich aber durchaus, dass man Positionen und Schreibe dringlichst überdenken sollte, wenn solche Gruppierungen sich offensichtlich ganz gut mit den Texten identifizieren können. Der Bachmannpreis-Jury wird all das vermutlich nicht entgangen sein, und hier entsteht ein kleiner Raum für Diskussionen ganz fernab der Tatsache, dass Rönne noch nicht für die Welt geschrieben hat, als sie sich bewarb.

Ich für meinen Teil wollte mich nun eigentlich raushalten aus dieser mittlerweile sehr unübersichtlichen Geschichte, aber eine Sache regt mich doch immerhin so sehr auf, dass ich angefangen habe, diesen Text zu tippen: Die Opferrolle der Ronja von Rönne, in die sie sich wohlgemerkt nicht selbst drängt, sondern die ihre Unterstützer_innen für sie ausgesucht und mit Samt ausstaffiert haben.
Diejenigen, die bei der Lektüre ihrer Texte auf den Schreibtisch schlagen und vielleicht so etwas wie „Jawoll, endlich haut es jemand raus“ rufen (und selbiges in die Kommentarspalten schreiben). Diejenigen, die dann „den Femtrolls“ unterstellen, sie würden unschuldigen Bürger_innen notfalls mit Gewalt ihre Meinungen aufzwingen wollen. Die jede Kritik an Rönnes Texten auch auf sich beziehen, denn immerhin geht es nicht um Rönne als Person, sondern um die von ihnen geteilten Meinungen und Werte, die Rönne verschriftlicht und im doppelten Wortsinn in die Welt hinauswirft.
Diejenigen, die mitunter zu den Mitteln greifen, die sie im selben Atemzug kritisieren (öffentliche Diffamierung von Personen, die ihre Meinung äußern und die dafür Zuspruch von bestimmten Personengruppen erhalten. Feminismus im Pott hat hierzu bereits einen lesenswerten Text veröffentlicht). Und die dann eben auch trollen. Das ist dieses Fucking-For-Virginity-Ding.
Und das wohl Schlimmste an dieser vehementen Verteidigung ist, dass sie höchstwahrscheinlich sehr häufig als Ausrede dafür fungiert, die sogenannten „Femtrolls“ mal wieder ordentlich angreifen zu können – eben dafür, dass sie so gemein mit einer jungen, unschuldigen Autorin umgehen.

Wenn Rönne solche Texte schreibt und dies nicht ganz blauäugig tut, dann muss sie (und müssen ihre Unterstützer_innen ebenso) mit den Konsequenzen, die zu Recht auch Kritik beinhalten können, umgehen können. Dieses „Sie ist doch so jung und probiert sich noch aus“-Ding nervt nicht nur, es ist überflüssig. Sie ist jung, ja. Aber sie probiert sich eben nicht aus, sie schreibt für ein riesengroßes Medium, Punkt.

Auf ihrer Facebookseite spricht sich Rönne heute „für die Freiheit, dummes Zeug zu reden“, aus. Und „dagegen, alles wörtlich zu nehmen, wörtlich zu lesen, Stricke aus Buchstaben zu drehen, egal gegen wen“. Mir geht es hier mitnichten darum, Stricke aus sämtlichen Buchstaben zu drehen, die sie irgendwo niederschreibt. Aber wenn sie tatsächlich dieser Auffassung ist – wenn nichts mehr wörtlich zu nehmen und zu lesen ist, wenn sich jeder journalistische Text nur noch aus Polemik, Performance, unreflektierten Anfeindungen, Kalkül, Sarkasmus und sehr subjektiver Meinung zusammensetzt und diese Zutaten dabei nicht mehr klar voneinander zu unterscheiden sind; wenn das einzige (!) Ziel eines solchen Textes das ist, möglichst arg zu polarisieren, wenn sich (von Seiten der Feuilleton-Ressortleitung der Welt) damit rausgeredet wird, dass der „gute Leser (…) in Zweifelsfällen solche Deutungen bevorzugen [soll], die dem Urheber eine sinnvolle Absicht unterstellen“ (Quelle), und wenn daran dann keine Kritik mehr gestattet ist – dann liegt etwas im Argen. Dann sollte statt über rechte und linke Empfehlungen oder darüber, wer sich nun worüber mehr aufregt, vielleicht lieber einmal über Verantwortung gesprochen werden.
Großes Wort zum späten Sonntagabend.

Ich möchte daher ähnlich enden wie damals im April: mit der Bitte um einen Blick über den Tellerrand. Manchmal sind die Tischdecken gar nicht so hässlich wie befürchtet.